Anmerkungen des DÖJ zum 7. Bericht zur Lage der Jugend:
Der 7. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich mit über 400 Seiten ist charakterisiert durch eine ausführliche Darstellung des Status Quo der österreichischen Jugend und der bisherigen Aktivitäten im Rahmen der österreichischen Jugendstrategie.
Neben der Beschreibung des Status Quo nennt der Bericht selbst aber einleitend (Teil C) das Ziel, die „Formulierung von programmatischen Visionen und Vorhaben des Jugendressorts“ und das Ziel, eine „Zukunftsperspektive des jugendpolitischen Handelns“ abzubilden. Nicht zuletzt deshalb wird der Bericht auch dem Nationalrat vorgelegt. Und es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Jugendpolitik ein Querschnittthema darstellt. Jugendpolitik soll jungen Menschen helfen, die Anforderungen in der Lebensphase Jugend und den Übergang ins Erwachsenenleben zu bewältigen. Zentrale Anliegen sind der Schutz von Kindern und Jugendlichen und die Förderung ihrer Entwicklung als eigenständige Persönlichkeiten“.
Zur Beschreibung des Status Quo fasst der Teil A des Berichtes Zahlen, Daten und Fakten aus unterschiedlichen Studien, Erhebungen und Quellen zusammen. Im Teil B wird partizipativ mit Hilfe des „Better-Life-Index Jugend“ ermittelt, welche Lebensbereiche für die Jugend wichtig sind und welche Qualität ihr Leben in Österreich hat. Zur Strukturierung des Teils C wurde die österreichische Jugendstrategie herangezogen. Die Aktivitäten der jugendpolitischen Stakeholder werden in Bezug zu den drei Rahmenzielen zusammengestellt, die ihrerseits in jeweils drei konkrete Zielsetzungen unterteilt worden waren. Den Großteil des Teiles C macht die Beschreibung der Jugendstrategie und der Aktivtäten in Bezug auf diese Strategie aus.
Zunächst soll positiv angemerkt werden, dass das Vorhandensein einer Jugend- Strategie mit konkreten Zielen und eine Implementierung entsprechender Aktivitäten oder eine Zuordnung vorhandener Aktivitäten zu diesen Zielen sinnvoll und wertvoll ist. Die große Menge an Aktivitäten und die Bundesländer-übergreifende Planung („Jugendoffensive 2020“) überrascht positiv.
Andererseits aber sind die Ziele der Jugendstrategie und die davon abgeleiteten jugendpolitischen Aktivitäten auf sehr allgemeiner Ebene angesiedelt. Die Jugend wird für die Strategie weder nach Alter noch nach ihrem Bedarf an jugendpolitischen Maßnahmen differenzeiert. Der Bedarf an politischen Aktivitäten und vor allem auch deren Wirkung unterscheiden sich aber gravierend zwischen verschiedenen Zielgruppen der Jugend.
- Zur fehlenden Altersdifferenzierung:
Gerade wenn im Bericht selbst betont wird, dass unter „Jugend“ inzwischen Menschen bis zum 30. Lebensjahr verstanden werden, sollten die Unterschiede zwischen z.B. 14- und 29-Jährigen weder in den Daten noch in den Maßnahmen unberücksichtigt bleiben.
Die meisten Daten im Bericht beziehen sich jedoch entweder auf alle 14-24 oder alle 14-29-Jährigen. Es ist daher anzunehmen, dass die Jugend-Strategieziele nicht zuletzt auf Grund fehlender alters-differenzierender Analysen so allgemein gehalten wurden. Dabei könnte und sollte bei den strategischen Zielen mindestens zwischen Jugendlichen (14-18) und jungen Erwachsenen (18-24) und noch älteren jungen Erwachsenen (25-30) differenziert werden. Dann könnten die jugendpolitischen Maßnahmen gezielter und eventuell auch sparsamer gesetzt werden.
Der Jugendbericht betont erfreulicherweise die Wichtigkeit ressortübergreifender Kooperation in der Jugendpolitik und berichtet auch von erfolgreichen Aktivitäten in dieser Hinsicht (z.B. durch wirkungsorientierte Folgenabschätzung für Jugend). Er thematisiert aber leider nicht, dass die meisten jugendbezogenen Tätigkeiten der öffentlichen Hand selbst die Jugend nach formalen Kriterien wie der Volljährigkeit strukturieren und wesentlich relevantere Kriterien wie z.B. die tatsächliche finanzielle und persönliche Selbständigkeit außer Acht lassen. Dies führt z.B. in diesen Ressorts zu inadäquaten Verhalten gegenüber der Jugend: z.B: Jugendhilfe, Jugendpsychiatrie, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, Arbeitsintegration, Existenzsicherung, Jugendgerichtsbarkeit, …). In all diesen Bereichen herrscht in der Praxis nach wie vor Säulendenken vor, insbesondere was finanzielle Aufwendungen betrifft, und die Übergänge in ein anderes Ressort werden durch das formalen Alter erzwungen, selbst wenn die Gesamtkosten dadurch steigen und wenn dies der Jugend schadet.
- Zur fehlende Zielgruppenorientierung
Damit jugendpolitische Aktivitäten möglichst effizient sind, sollten die unterschiedlich hohen Bedarfe von Jugendlichen in einer Strategie berücksichtigt werden. Teil A des Berichtes unterscheidet ausdrücklich mit Hilfe der Daten der EU-SILC Studie mehrere Gruppen sozialer Eingliederung von Jugendlichen (Armutsgefährdete Jugendliche, Jugendliche mit keiner oder geringer Erwerbsintensität, Jugendliche mit Wohnungsdefiziten, Jugendliche mit Migrationshintergrund, Jugendliche mit gesundheitlichen Einschränkungen, …) In diesen Gruppen sind jugendpolitische Aktivtäten besonders wichtig und auch besonders effizient, weil der „Return of Invest“ meist sehr hoch ist. Diese unterschiedlichen Bedarfe bleiben jedoch in der Jugendstrategie unberücksichtigt. Im Bericht selbst wird in den „Sichtweisen der Jugendforschung“ die all zu geringe Analyse von Einflussfaktoren bedauert. Obwohl einzelne jugendpolitische Aktivitäten, insbesondere im Bereich Jugend-Beschäftigung, auch den genannten Zielgruppen zu Gute kommen, fehlt jedoch generell eine zielgruppensensible strategische Ausrichtung der Jugendpolitik.
Immerhin werden wenigstens im Ausblick des BMFJ (Teils C) zielgruppenorientierte Angebote (z.B. für MigrantInnen, Armuts- und Ausgrenzungsgefährdete) und zielgruppensensible Jugendinformationen genannt. Große Hoffnung wird auf die außerschulische Jugendarbeit gesetzt. Sie ist eines der ganz wenigen Ressorts, in dem die Jugend nicht mit 18 formal beendet wird, sondern bis 24 dauert.
Fehlende Zielgruppenorientierung der Jugendstrategie am Beispiel Jugendhilfe:
Die fehlende Zielgruppenorientierung der Jugendstrategie zeigt sich deutlich am Beispiel der Jugendhilfe. Obwohl ca. 60.000 Kinder und Jugendliche laufend in der Jugendhilfe mit Maßnahmen unterstützt werden, kommt die Jugendhilfe im Bericht kaum vor. 11.000 davon werden laufend in sozialpädagogischen Einrichtungen oder Pflegefamilien betreut, weil die leiblichen Eltern die Rechte ihrer Kinder nicht gewährleisten. Mehrere hundert private Einrichtungen leisten den größten Teil diese Jugendarbeit!
Wenn sich die Phase des Erwachsen-Werdens in unserer Gesellschaft eindeutig weit in das 3. Lebensjahrzehnt hinein verschoben hat, dann gilt dies noch mehr für junge Menschen, die höchst belastende Biographien aufweisen. Im Durchschnitt verlassen junge Erwachsene ihre Familie in Österreich mit 24 Jahren, die Jugendlichen der Jugendhilfe müssen aber (mit wenigen Ausnahmen) die Betreuung und Unterstützung mit 18 Jahren verlassen, obwohl sie meist keine unterstützende Familie mehr haben.
Die hohen Kosten, die die öffentliche Hand über die Jugendhilfe bis zur Volljährigkeit investiert (z.B. über 700.000,- € für Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung von 2 bis 18 J), sollten daher unbedingt durch ein fachlich qualifiziertes Übergangsmanagement abgesichert werden. Was wir heute nicht in diesen Übergang investieren, müssen wir morgen für Mindestsicherung, Resozialisierung und Polizei zahlen.
Tatsächlich endet die Jugendhilfe mit 18 und das nachfolgende Hilfe-System ist absolut nicht auf die Bedarfe dieser als „Care Leaver“ bezeichneten jungen Erwachsenen abgestimmt. Manche rutschen in versteckte Obdachlosigkeit, Kleinkriminalität (zur Existenzsicherung) und bekommen gesundheitliche Probleme. Die Rückkehr in eine Unterstützung durch die Jugendhilfe ist nach geltendem Gesetz nicht möglich.
Zielgruppenspezifische Jugendpolitik würde eine Lösung für diese Zielgruppe suchen, indem sie entweder die Möglichkeit der Unterstützung der Jugendhilfe in eine jugend-adäquate Form bringt oder den Übergang von der Unterstützung durch die Jugendhilfe in das Unterstützungssystem eines anderen Ressorts jugend-adäquat gestaltet.
Dr. Hubert Löffler